Kaliningrad, eine abgelegene russische Enklave im Baltikum, eingeklemmt zwischen Litauen und Polen, sorgt für rote Köpfe und alarmiert die westlichen Behörden. Rußland wird vorgeworfen, Großbritannien und Europa mit preiswerten, geschmuggelten Zigaretten zu überschwemmen. Dieser Vorwurf ist völig ungerechtfertigt, denn Kaliningrad übt nur seine Rechte der Globalisierung und den, durch den WTO-Vertrag postulierten und allseits ratifizierten Neoliberalismus aus.
Es scheint sie also doch noch zu geben, die mutigen, verdeckt arbeitenden Journalisten, wenn auch in verschwindend kleiner Zahl.
Ein belastendes Video, wovon «The Guardian» gestern Auszüge publiziert hat, wurde vom verdeckt recherchierenden Journalisten Duncan Campbell in einer riesigen Fabrikhalle in Kaliningrad gedreht. Das Video ist scheinbar so brisant, daß es zu diplomatischen Konsequenzen kommen wird zwischen Großbritannien und Rußland, die eine bereits angespannte Beziehung voraussichtlich noch weiter verschlechtern wird. Das ist ein weiterer, teurer Preis für ein Rauchverbot, das unsinniger nicht sein könnte und wofür man scheinbar alles in Kauf nimmt, egal was es finanziell oder gesellschaftlich kostet. Diese Sturheit ist beachtenswert.
Das Video zeigt wie die Baltic Tobacco Company (BTC), anscheinend in russischem Besitz, im großen Stil die chinesische Zigarettenmarke «Jin Ling» herstellt und vom Aussehen her einer Art Camel-Packung gleicht. Die Firma verkauft sie dann ausschließlich containerweise an Schmuggler zu 0.20 US$ pro Päckchen. Die geschmuggelte Ware taucht überall in Europa auf, von Litauen bis Venedig.
Auf den ersten Blick sieht sie aus wie eine Schachtel «Camel». Gelb, halbrunder Schriftzug, ein Widder auf der Vorderseite statt eines Kamels. «Jin Ling»-Zigaretten werden aus Rußland in Nacht- und Nebelaktionen über die Autobahnen Osteuropas nach Deutschland geschmuggelt. In Russland kosten sie umgerechnet zwei Euro - pro Stange. Und so wächst seit Jahren der Handel mit den Glimmstängeln. «Mit jeder Tabaksteuererhöhung wird es mehr», sagt ein Berliner Zollfahnder, der nicht namentlich genannt sein will.
Letztes Jahr wurden in einer einzigen, für Großbritannien bestimmten Schiffsladung 500 000 solcher Zigarettenpäckchen in Dänemark sichergestellt. Diesen Monat fand man, gemäß Aussagen der britischen Zollbehörden, versteckt hinter einer LKW-Ladung voller Kabel «Jin Ling» Zigaretten in GB-Coventry. Dabei wurde ein Pole verhaftet. Zollbehörden in ganz Europa stellten 2007 über 258 000 000 geschmuggelte «Jin Ling» Zigaretten sicher. Die EU-Bürokraten der Anti-Betrugsabteilung in Brüssel haben deshalb eine kostenintensive, internationale Task Force auf die Beine gestellt. Der Kopf dieser Truppe, Austin Rowan, sagt: «Der Schmuggel von «Jin Ling» ist ein immenses Problem für die EU geworden, welches substantielle Verluste sowohl für das EU-Budget, als auch für nationale Budgets verursacht.»
Jetzt wissen wir es also auch offiziell, weshalb das Rauchen nicht verboten wird, sondern Raucher «nur» gegängelt und diskriminiert werden. Nebst der Erdölsteuer ist die Tabaksteuer nämlich EU-weit die größte Verbrauchssteuer und ohne diese Einnahmen käme manches nationale Budget arg ins Schwanken.
Die Videobeweise wurden vom Internationalen Konsortium Investigativer Journalisten in Washington, einer nicht profitorientierten Gruppe, welche auch osteuropäische Journalisten einschließt, entgegengenommen, was einer Auszeichnung für gut geleistete journalistische Arbeit gleichkommt. Damit keine Mißverständnisse aufkommen: Ich unterstütze solchen Recherche-Journalismus und bedaure, dass es nicht mehr davon gibt.
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