12 Oktober 2006

Irans Präsident Ahmadinedschad führte die Lügenzunft

von WELT und WPost wie am Nasenring vor,


Er ist einer der mächtigsten Männer des Nahen Ostens - und einer der umstrittensten Politiker weltweit: Mahmud Ahmadinedschad. Ein Gespräch mit den iranischen Präsidenten über das Nuklearprogramm seines Landes, das Verhältnis der Nachbarn und einstigen Kriegsgegnger Iran und Irak, den Nahostkonflikt, die Zukunft des Staates Israel und seine Erwartungen an die US-Politik.
Von Lally Weymouth
WELT.de: Liegt es im Interesse des Iran, die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zu normalisieren?
Mahmud Ahmadinedschad: Wir sind an Gesprächen mit jedermann interessiert. Wir sind der Überzeugung, dass Gespräche viel besser sind als Drohungen und Konfrontationen. Derzeit führen wir mit vielen Ländern Gespräche. Ich habe bereits zuvor gesagt, dass die Vereinigten Staaten keine Ausnahme sind, aber die US-Regierung – das heißt, ein Teil der US-Regierung – schafft nicht die richtigen Bedingungen. Das zerstört die Chance konstruktiver Gespräche.
WELT.de: Weil ein Teil der Regierung Ihr Regime stürzen will?
Ahmadinedschad: Ich spreche über ein bestimmtes Verhalten; die Haltung ist unangemessen. Sie glauben, ihnen gehörte die ganze Welt, also sprechen sie von dieser Warte, schauen auf uns herab – sogar, wenn sie mit uns zusammentreffen. Wenn sie ihr Verhalten ändern, können wir über alles reden. Manche Politiker in den Vereinigten Staaten glauben, dass sie über die Nuklearfrage Druck auf den Iran ausüben können, aber damit sie liegen falsch. Wer selbst Atombomben hergestellt und sie eingesetzt hat, kann nicht für sich in Anspruch nehmen, die Proliferation stoppen zu wollen.
WELT.de: Warum lassen Sie die IAEA-Inspektoren nicht zurückkehren, wie der UN-Sicherheitsrat es im vergangenen Sommer gefordert hat?
Ahmadinedschad: Tatsächlich ist die Einmischung des Sicherheitsrats illegal. Wir arbeiten unter den Rahmenbedingungen der IAEA und die Kameras sind auf unserer Seite. Könnten Sie mir bitte wenigstens einen IAEA-Bericht über die Nuklearanlagen der Vereinigten Staaten zeigen?
WELT.de: Ist es wirklich Ihr Ernst, wenn Sie sagen, Israel solle vom Angesicht der Erde getilgt werden?
Ahmadinedschad: Wir müssen uns die Lage im Nahen Osten ansehen – 60 Jahre Krieg, 60 Jahre Vertreibung, 60 Jahre Konflikt, nicht ein einziger Tag Frieden. Sehen Sie sich den Krieg im Libanon an, den Krieg in Gaza – wo liegen die Gründe für diese Zustände? Wir müssen das Problem an der Wurzel packen.
WELT.de: Sie schlagen vor, Israel vom Angesicht der Erde zu tilgen?
Ahmadinedschad: Unser Vorschlag ist sehr klar: Lasst das palästinensische Volk in einem freien und fairen Referendum über sein Schicksal entscheiden, und das Ergebnis, wie immer es aussehen mag, sollte akzeptiert werden. Heute herrscht ein Volk über das Land, das dort keine Wurzeln hat.
WELT.de: Sie wurden mit der Aussage, Israel solle vom Angesicht der Erde getilgt werden, zitiert. Ist das Ihre Überzeugung?
Ahmadinedschad: Was ich gesagt habe, hat meine Position deutlich gemacht. Wenn wir uns die Karte des Nahen Ostens vor 70 Jahren ansehen?
WELT.de: Also lautet die Antwort ja, Sie sind der Überzeugung, dass Israel vom Angesicht der Erde getilgt werden solle?
Ahmadinedschad: Fragen Sie mich ja oder nein? Ist das ein Test? Respektieren Sie das Recht der palästinensischen Nation auf Selbstbestimmung? Ja oder nein? Wird Palästina, als Nation, das Recht zugestanden, unter menschenwürdigen Bedingungen zu leben oder nicht? Lassen wir es zu, dass den Rechten dieser fünf Millionen vertriebenen Menschen Geltung verschafft wird.
WELT.de: Wenn sich das palästinensische Volk für eine Zwei-Staaten-Lösung entschiede, würden Sie diese Entscheidung unterstützen?
Ahmadinedschad: Die Politiker in den Vereinigten Staaten sollten es den Palästinensern gestatten zu wählen, und danach respektieren wir alle die Ergebnisse. Sie würden nicht einmal einen kleinen palästinensischen Staat akzeptieren. Deshalb sind wir der Überzeugung, dass man das Problem an der Wurzel packen muss. Juden werden, wie andere Individuen, respektiert werden müssen. Es ist nicht nötig, das Land anderer zu besetzen, sie zu vertreiben, ihre jungen Leute zu inhaftieren und ihre Wohnungen und Felder zu zerstören und benachbarte Staaten anzugreifen.
WELT.de: Wie schätzen Sie die derzeitige Lage der Hisbollah im Libanon ein? Welche Auswirkungen hat der Krieg gehabt?
Ahmadinedschad: Jeder hat gesagt, dass die Angriffe der israelischen Regierung auf den Libanon vorausgeplant gewesen seien. Die Frage ist: Die Flugzeuge, die den Libanon dem Boden gleich gemacht haben, die Laser-Bomben, woher kamen die? Wer hat die Zionisten aufgerüstet? Wer hat eine Waffenruhe zunächst verhindert? Ich glaube, eine Fraktion innerhalb der US-Regierung muss ihre Sichtweise auf den Nahen Osten ändern. Sie sollten nicht davon ausgehen, die Probleme im Nahen Osten durch Krieg lösen zu können.
WELT.de: Sie haben den irakischen Premierminister getroffen. Haben Sie Ideen entwickeln können, wie sich die Lage im Irak stabilisieren ließe?
Ahmadinedschad: Saddam war zweifellos ein verabscheuungswürdiges Individuum, und obwohl er während des achtjährigen Krieges mit dem Iran von einer Gruppe amerikanischer Politiker unterstützt wurde, waren wir froh, als er verschwand. Das machte für die amerikanische Regierung den Weg frei, ihre Beziehungen zu den Menschen in der Region zu verbessern, aber sie hat ihre Chance vertan – sie hat sich zugunsten des Öls und ihrer eigenen Interessen dafür entschieden, den Irak zu besetzen. Die irakische Nation hat tiefe Wurzeln – eine alte, zivilisierte Kultur –, sie kann es nicht akzeptieren, besetzt zu bleiben. Sie kann nicht akzeptieren, dass ihre Obrigkeit täglich von der amerikanischen Obrigkeit Befehle empfängt. In den letzten Jahren sind Hunderttausende irakischer Zivilisten getötet worden. Es ist noch schlimmer als unter Saddam. Jeder im Irak ist unglücklich. Der Irak hat nun eine vom Volk gewählte Regierung, er hat eine Verfassung und ein Parlament. Lasst sie das Land führen und verwalten. Unsere Politik ist es, die irakische Regierung zu unterstützen, um Sicherheit für das Land zu schaffen.
WELT.de: Es scheint, als hätte sich im Irak die schiitische Mehrheit zur größten Macht entwickelt. Ist das aus Sicht des Iran positiv?
Ahmadinedschad: Wir sind mit der ganzen irakischen Nation befreundet. Unsere Nation ist wie eine erweiterte Familie der irakischen Nation. Wir sind nicht wie amerikanische Politiker, die Menschen spalten.
WELT.de: Premierminister Nuri al-Maliki hat gesagt, seine wichtigste Aufgabe sei es, die Milizen unter Kontrolle zu bringen, von denen viele enge Verbindungen zum Iran pflegen und einige vom Iran finanziert werden. Werden Sie Maliki helfen, die Milizen unter Kontrolle zu bringen?
Ahmadinedschad: Sie machen wieder einen Fehler. Herr Maliki ist ein Freund von uns. Unsere Nationen sind einander eng verbunden. Kein Land leidet mehr unter der Instabilität im Irak als unseres.
WELT.de: Der Iran gilt mittlerweile als mächtigstes Land in der Region – Folge der US-Invasion sei, dass der Iran mächtiger denn je sei.
Ahmadinedschad: Glauben Sie, dass es ein Problem gibt, weil der Iran ein mächtiges Land ist? Unterstellen Sie, die Amerikaner seien gekommen, um den Iran zu stärken?
WELT.de: Nein. Aber glauben Sie nicht, dass es darauf hinausläuft?
Ahmadinedschad: Der Iran ist ein mächtiges Land. Die Region wird von einem mächtigen Iran profitieren, denn der Iran ist ein Land mit einer tiefgehenden Kultur und war immer ein friedfertiges Land. Hätten die Amerikaner nicht den Schah eingesetzt, hätte der Iran ein weit mächtigeres Land sein können.
WELT.de: Werden Sie weiterhin Terrorgruppen unterstützen – Hamas, den palästinensischen Islamischen Dschihad?
Ahmadinedschad: Erfüllen Sie hier eine Mission oder sind Sie Journalist? Ein Journalist urteilt nicht. Sie sagen, die Hamas wäre eine Terrorgruppe. Die Hamas operiert in ihrem eigenen Territorium, in ihrem eigenen Land. Warum nennen Sie sie Terroristen? Wenn jemand die Vereinigten Staaten besetzen würde und die Amerikaner erhöben sich, um ihre Heimat zu verteidigen, würden sie das amerikanische Volk Terroristen nennen?
WELT.de: Ich würde sie Terroristen nennen, sobald sie anfingen, Zivilisten zu töten.
Ahmadinedschad: Das palästinensische Volk hat ein Recht zu leben. Gaza wird bombardiert. Wohnungen werden zerstört. Warum? Weil einige Politiker in den Vereinigten Staaten darauf bestehen, die Zionisten zu unterstützen und dafür in Kauf nehmen, dass die Palästinenser vernichtet werden und Amerika den Hass aller Nationen in der Region auf sich zieht. Das wird gegen die amerikanische Regierung arbeiten, denn anti-amerikanische Regungen und Hass wachsen Tag für Tag.
WELT.de: Sie haben sich über den Holocaust geäußert und gesagt, sein Ausmaß sei möglicherweise übertrieben worden. Ist das ihre Ansicht?
Ahmadinedschad: Es sind hier nicht die Zahlen, die wichtig sind. Es geht um eine sehr grundsätzliche Frage: Wenn wir den Forschern erlauben, ungehindert zu forschen, warum haben die Forscher dann nicht das Recht, diese Geschichte ebenso zu erforschen? Erinnern wir uns daran, dass im Zweiten Weltkrieg 60 Millionen Menschen getötet wurden. Lassen Sie uns also alles in einen Kontext stellen und lassen Sie uns dann weiter forschen. Wir wissen, es handelt sich um ein historisches Ereignis, das stattgefunden hat. Aber wie kommt es, dass Menschen, die das in Frage stellen, selbst in kleinstem Umfang, verfolgt und angegriffen werden?
WELT.de: Sind Sie bereit, Schritte zur Aussetzung der Urananreicherung zu unternehmen?
Ahmadinedschad: Wir glauben, dass die amerikanischen Politiker ihre Haltung ändern sollten. Wenn sie glauben, dass Drohungen gegen den Iran zu Ergebnissen führen, liegen sie falsch. Ich frage Sie: Wer hat die Verbindungen zum Iran gekappt? Es war die US-Regierung. Wer hat uns den Krieg gegen Saddam aufgezwungen? An wem also ist es, ein positives Signal auszusenden, an uns oder an der US-Regierung?
WELT.de: Was erwarten Sie von den Vereinigten Staaten und wozu wären Sie im Gegenzug bereit?
Ahmadinedschad: Ich habe einen sehr detaillierten und mitfühlenden Brief (an Präsident Bush, d. Red.) geschrieben; ich meine es ehrlich, wenn ich sage, dass ich hoffe, dass Herr Bush sein Verhalten und seine Einstellung ändert. Es macht uns nicht froh, dass die Stimmung gegen ihn rund um die Welt jeden Tag steigt. Das kann umgekehrt werden. Es ist die Haltung und Herangehensweise einiger amerikanischer Politiker, die die Dinge ruinieren. Sie wollen den Iran in das zurückverwandeln, was er vor der Revolution, unter dem Schah, war, als er geradezu eine Marionette der Vereinigten Staaten war. Das ist Geschichte. Sie wird nie zurückkommen. Die iranische Nation ist eine freie und unabhängige Nation mit einer gewählten Regierung, einem Parlament und einer Verfassung.
©"Washington Post". Aus dem Englischen von Wieland Freund. - Artikel erschienen am 25.09.2006
 

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