04 September 2008

Medien: Panik vor dem Internet


Gerhard Wisnewski
"Der »Spiegel« schiebt Panik vor den Bloggern" hatte ich am 23. Juli 2008 einen Artikel überschrieben. Gegenstand war eine Spiegel-Geschichte, in der das Hamburger Magazin über die Internet-Blogger herzog. Inzwischen ist klar: Der Spiegel steht mit der Panik nicht allein da. Mittlerweile geht ein Rauschen durch den Medien- und Blätterwald - oder ist es etwa ein Zittern? In der ganzen Branche herrschen Heulen und Zähneklappern. Der Angstfeind: Das Internet.

In der Zeit vom 14. August 2008 ging Josef Joffe die Düse: "Im zweiten Quartal verloren die deutschen Tageszeitungen 2,2 Prozent der Auflage gegenüber 2007." In den USA gehe "die Auflage seit Jahren stur um 2,5 Prozent zurück." Gemeint ist wahrscheinlich: 2,5 Prozent pro Jahr. Die Werbeinnahmen seien 2007 um fast zehn Prozent gefallen.

Besonderes Schreckgespenst für Joffe ist das Internet, speziell die Huffington Post: Eine reine Internetzeitung, die mit einer cleveren Mischung aus namhaften Autoren und Verlinkungen zu anderen Medien riesige Reichweiten erreicht.

Das Heil sucht Joffe im "richtigen Journalisten", ohne zu definieren, was das überhaupt sein soll. Dieser "richtige Journalist", soviel steht aber fest, "sortiert und wählt aus. Er macht uns neugierig, aber nicht (oder nicht nur) mit der neuen Verlobten von Boris Becker. " Nun ja, eine Beschreibung, die auch auf jeden Blog passen könnte. Ausgewählt wird schließlich auch da, und auch nicht nur die Verlobte von Boris Becker. Ganz im Gegenteil: Solche Klatschgeschichten kommen dort - ganz im Gegensatz zu den etablierten Medien - eher selten vor.

Was für Joffe der "richtige Journalist" ist, ist für den ZDF-Intendanten Markus Schächter der "Qualitätsjournalismus": Bei der Eröffnung des "JugendMedienEvents" des Vereins junger Medienmacher in Mainz rief Schächter zur Zusammenarbeit aller Medien auf, "die für Qualitätsjournalismus stehen". "Nie waren handwerklich und ethisch gut ausgebildete Journalisten notwendiger als heute, um das Überleben des Qualitätsjournalismus in der digitalen Welt zu sichern."

Qualitätsjournalismus? Und auch noch "ethisch"? Was soll das nochmal sein? Etwa der Journalismus, der den "Aufschwung" von Frau Merkel ebenso verkaufte wie die Attentate des 11. September? Der Schröders Sozialkahlschlag als Reformen hinstellte? Der die Globalisierung als Chance anpreist und nicht als neue Kolonisierung entlarvt? Der die Tibet-Proteste als spontane Unruhen darstellte statt als gesteuerte Destabilisierung? Der den Kaukasus-Konflikt wider die Tatsachen als russische Aggression hinstellt? Der Journalismus, der beeinflußt, beschönigt und verschweigt?

Kann man auf diese Sorte "Qualitätsjournalismus" nicht getrost verzichten?
icht doch: Das Problem sind ja auch die "Bürger-Reporter" aus dem Internet. Deren Content "enthält wenig, was neu oder überprüfbar wäre", zitiert Zeit-Joffe ein Projekt für angebliche "Excellence in Journalism".

Neu und überprüfbar? Ich bitte Sie: Auch darüber könnte man im Hinblick auf die etablierten Medien heftig diskutieren. Bis jetzt heißt es immer noch "lügen wie gedruckt" nicht "wie gebloggt".

"Wer sich verteidigt, klagt sich an" - auf kaum einen Artikel trifft das so zu, wie auf Joffes Verteidigungsrede des "richtigen Journalisten". "Derweil das traditionelle Zeitungsgewerbe wegschmilzt", zitiert er da einen "Medienexperten", "drohen die Medien zum surrealen Kettenbrief digitaler Illusionen und Täuschungen zu werden, wo die Fakten durch Meinungen und die professionellen Nachrichtensammeler von durchgeknallten Kommentatoren ersetzt werden."

Meinungen statt Fakten? Durchgeknallte Kommentatoren? Surrealer Kettenbrief? Etwa so surreal wie George W. Bushs Massenvernichtungswaffen im Irak oder die Atombombe im Iran, die angeblich islamischen Angriffe auf das World Trade Center oder die frisierten "Inflationszahlen"?

Die wirklich surrealen Kettenbriefe sind die Zeitungen, die jeden Morgen in unserem Briefkasten landen oder die Nachrichten, die abends über den Bildschirm flimmern. Und weil der Medienkonsument nicht so dumm ist, wie die Medien glauben, kauft er ihnen ihre Märchen immer weniger ab - und natürlich auch ihre Zeitungen.

Nicht das Internet hat eine ganze Scheinwelt errichtet, sondern die etablierten Medien. Nicht das Internet hat ein geschlossenes Wahnsystem, pardon: Weltbild geschaffen, sondern der "Qualitätsjournalismus". Und der ist jetzt sauer, weil seine fadenscheinige Welt immer mehr durchlöchert wird.

"Was macht der richtige Journalist?", fragte Joffe und antwortet scharfsinnig: "Er trennt das Interessante vom Blöden."

Genau. Und das Blöde veröffentlicht er dann.
 

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