16 Mai 2009

Die Prinzessin und die Taliban



Afghanistan sollte der „gerechte Krieg“ werden, die „angemessene Antwort“ auf die Anschläge des 11. September (2001). Bin Laden sollte „tot oder lebendig“ der Justiz übergeben und der Terrorismus an den Orten ausgerottet werden, aus denen er stammte. 95 Prozent der Amerikaner unterstützten den Überfall auf Afghanistan. Jetzt glaubt noch nicht einmal mehr die Hälfte, dass die Vereinigten Staaten dort ihr Ziel erreichen werden. Der Krieg wurde verkauft als eine Chance, ein repressives fundamentalistisches Regime durch eine demokratische Regierung zu ersetzen, die sich den westlichen Idealen verpflichtet fühlt. Die Bush-Administration versprach, das vom Krieg verwüstete Afghanistan wieder aufzubauen und sein feudalistisches System in eine Wirtschaft des freien Marktes umzuwandeln; auch die Frauen sollten aus der Unterdrückung durch islamische Extremisten befreit werden.Das war alles Quatsch. Keines der Versprechen wurde gehalten, und kein einziges Ziel wurde erreicht. Die PR-Kampagne Bushs war ein einziger Schwindel. Krieg ist kein Instrument zu Durchsetzung positiver sozialer Entwicklungen, mit Krieg kann man nur Menschen umbringen und Zerstörungen anrichten. Wenn man eine militärische Aggression eine vorbeugende Aktion nennt, funktioniert das nur eine Weile, denn die Wahrheit kommt doch ans Licht. Demokratie und Fortschritt kommen nicht aus Gewehrläufen.

Der Überfall auf Afghanistan war weit davon entfernt, ein „gerechter Krieg“ zu sein, und artete schnell in einen brutalen Rachefeldzug aus. Drei Jahrzehnte Krieg haben das Land in einen Trümmerhaufen verwandelt, und die Gewalt nimmt weiter zu. Da ein Sieg immer unwahrscheinlicher wird, haben die Vereinigten Staaten ihre Bombardierungs-Kampagne verstärkt und damit im Jahr 2008 einen neuen Tötungsrekord aufgestellt. Die Anzahl der zivilen Opfer ist sprunghaft angestiegen, und Millionen Afghanis sind auf der Flucht. Gleichzeitig haben sich die Taliban neu formiert und in strategisch lebenswichtigen Gebieten im Süden festgesetzt; sie sind dabei, die Nachschublinien der US-Truppen aus Pakistan zu unterbrechen. Die Stadt Khost ist wieder in Händen des afghanischen Widerstands, wie damals in 80er Jahren (des letzten Jahrhunderts), kurz bevor die Sowjetarmee geschlagen wurde. Die Taliban rücken auf Kabul vor, und die Schlacht um die Hauptstadt scheint jetzt unvermeidlich.

Schon im zweiten Monat in Folge wurden in Afghanistan mehr ausländische Soldaten getötet als im Irak. Die Kampfhandlungen haben zugenommen, während sich die Sicherheitslage ständig verschlechtert. Die Anzahl der Taliban-Kämpfer wächst ständig, während die Allianz noch nicht einmal 60.000 Soldaten in einem Land mit 32 Millionen Einwohnern einsetzen kann. Deshalb ist es auch unmöglich, Gebiete zu erobern und zu halten. Die (NATO-)Militärs müssen sich auf „Hit and Run Operations“ (auf punktuelles Zuschlagen und sofortigen Rückzug in ihre befestigten Lager) beschränken. Den Boden beherrschen die Taliban. Michael Scheuer, der früher bei der CIA für die Jagd auf Bin Laden zuständig war, erklärte jüngst auf einer Konferenz im Middle East Institute (Institut für den Mittleren Osten) in Washington:

„Afghanistan ist für die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten verloren. Mit einem abgewandelten Zitat Kiplings (eines britischen Autors, dessen bekanntestes Werk „Das Dschungelbuch“ ist) heißt das, ‚wir können zusehen, wie die NATO in den Ebenen Afghanistans verblutet’. Was können wir noch tun? Sollen wir uns etwa mit den 20 Millionen Paschtunen anlegen (von denen die meisten in Pakistan leben)? Wir haben noch nicht einmal genug Soldaten, um eine Polizeitruppe zu bilden, die das Land kontrollieren könnte. Das Desaster begann gleich zu Beginn (der Invasion). Die Irren, die unser Land regieren, haben geglaubt, einig Hundert CIA-Leute und einige Hundert Soldaten der Special Forces (Spezialkräfte) könnten ein Land, das so groß wie Texas ist, einnehmen und besetzt halten; weil das wirklich Idioten sind, zahlen wir jetzt den Preis dafür.“

Scheuer fügte hinzu: „In Afghanistan sind wir näher an einer Niederlage als im Irak.“ Scheuers Pessimismus ist unter Militärs und unter der politischen Elite viel weiter verbreitet, als viele meinen. Die Situation am Boden ist hoffnungslos, und es gibt auch kein Licht am Ende des Tunnels. Der Autor Anatol Lieven hat es in der FINANCIAL TIMES es in seinem

Artikel „Der Traum von einer afghanischen Demokratie ist tot“ so formuliert:

„Ein erster Schritt zum Überdenken der Strategie in Afghanistan sollte die Beachtung der Erkenntnisse aus einer kürzlich im Auftrag der in Toronto angesiedelten Web-Zeitung GLOBE AND MAIL unter einfachen Taliban-Kämpfern durchgeführten Meinungsumfrage sein. Zwei Ergebnisse sind verblüffend: das weit verbreitete Fehlen einer besonderen Treuepflicht gegenüber Mullah Omar und der Taliban-Führung und ihre eigentlichen Motive, sich den Taliban-Kämpfern anzuschließen. Als Hauptgrund wird die Anwesenheit westlicher Truppen in Afghanistan genannt. Auch der von diesen verursachte Tod von Verwandten und Nachbarn wird von vielen als wichtiges Motiv angegeben. Daraus erwächst die Frage, ob Afghanistan nicht nur eine Art surreales Jagdrevier ist, in dem die Streitkräfte der USA und der NATO (durch ihre rücksichtslose Kampfführung) die „Terroristen“ erst zeugen, die sie dann verfolgen.“

Lieven hat Recht. Die Besetzung und das wahllose Töten von Zivilisten hat die Taliban gestärkt und ihre Reihen anwachsen lassen. Die USA haben das Ringen um die Herzen und Hirne verloren, und sie haben nicht genug Truppen, um die Sicherheit zu gewährleisten. Die Mission ist gescheitert, und die Menschen in Afghanistan haben die Besetzung durch ausländische Streitkräfte satt. Die US-Streitkräfte schaufeln sich ihr Grab nur immer tiefer, wenn sie bleiben.

Nach allen objektiven Maßstäben sind die (Lebens-)Bedingungen jetzt schlimmer, als sie vor der Invasion im Jahr 2001 waren. Die Wirtschaft ist ein Trümmerhaufen, die Arbeitslosigkeit nimmt ständig zu, Maßnahmen zum Wiederaufbau bleiben minimal, es gibt keine Sicherheit, und die Unterernährung (der Bevölkerung) gleicht der in Afrika südlich der Sahara. Afghanistan ist weder sicherer, noch prosperierender oder freier. Die große Mehrheit der Afghanis lebt in erdrückender Armut, die duch ständige Gewaltandrohung noch verschlimmert wird. Die Regierung Karzai ist wenig angesehen, und ihre Macht reicht nicht über die Hauptstadt hinaus. Das Regime ist ein Schwindelunternehmen, das nur von einer kleinen Armee ausländischer Söldner gestützt wird – und von kollaborierenden Medien, die es als aufblühende Demokratie zu verkaufen versuchen. Es ist aber weder demokratisch, noch souverän. Afghanistan ist von ausländischen Truppen besetzt, und Besetzung und Souveränität schließen sich gegenseitig aus.

In dem Bericht „Taumelt Afghanistan ins Chaos – ein Land am Abgrund“ der internationalen Denkfabrik THE SENLIS COUNCIL heißt es:

„Die Sicherheitslage in Afghanistan hat einen kritischen Zustand erreicht. Die Fähigkeit der Taliban, im ganzen Land Widerstand leisten zu können, steht jetzt außer Zweifel; in 54 Prozent seines Gebietes – vor allem im Süden – sind die Taliban ständig präsent.

In bedeutenden Landesteilen im Süden und Osten Afghanistans üben die Taliban faktisch die Regierungsgewalt aus, und sind dabei, die Kontrolle über wesentliche Bereiche der lokalen Wirtschaft und der Infrastruktur wie das Straßennetz und die Energieversorgung zu übernehmen. Auch der psychologische Einfluss der Aufständischen nimmt ständig zu; sie werden im afghanischen Volk, das an wechselnde Bündnisse und Regimes gewöhnt ist, zunehmend als legitime politische Macht anerkannt.“

In seinem Artikel „Die Prinzessin und die Taliban“ erklärt der (kanadische) Journalist Eric Walberg zur Rolle der Taliban:

„Westliche Leser wurden mit Schlüsselwörtern wie „Feinde“ oder „Aufständische“ dazu gebracht, die Tatsache zu ignorieren, dass die Taliban eigentlich immer noch die legitime Regierung stellen, dass die so genannten „Aufständischen“ in Wirklichkeit von den meisten Afghanis als Freiheitskämpfer gesehen werden, die ungläubige fremde Besatzer – die wirklichen „Feinde“ – bekämpfen, die das Land illegal überfallen und Hunderttausende Widerstandskämpfer und unschuldige Zivilisten illegal getötet haben. Statt „getötet“ müsste es eigentlich „ermordet“ heißen. Für die einheimische Bevölkerung sind die Toten Märtyrer – wie im Irak oder in Palästina. … In der sich ständig verschlimmernden sozioökonomischen Situation des Landes erscheinen die Taliban als die einzige Kraft, die Afghanistan stabilisieren könnte.“

Es trifft noch nicht einmal zu, dass es den Frauen jetzt besser geht als unter der Taliban-Herrschaft. Malalai Joya, die dem afghanischen Parlament angehört, sagt dazu (in einem Interview):

„Jeden Monat begehen Dutzende Frauen aus Verzweiflung Selbstmord. … Der Krieg der Amerikaner gegen den Terror ist eine Farce, ebenso, wie die US-Unterstützung für die gegenwärtige afghanische Regierung, die von Terroristen der Nord-Allianz beherrscht wird. … Das US-Militär hat in Afghanistan viel mehr Zivilisten getötet, als bei der Tragödie am 11. September in den USA umkamen. Die US-Truppen haben auch mehr afghanische Zivilisten umgebracht als die Taliban. … Die US-Tuppen sollten sich so schnell wie möglich zurückziehen. Wir brauchen eine Befreiung und keine Besetzung. („Der Krieg gegen den Terror ist eine Farce“, Interview der in Berlin lebenden US-Bürgerin Elsa Rassbach mit Malalai Joya, im Z MAGAZINE vom November 2007, http://www.zmag.org/zmag/viewArticle/15919 )

Die Taliban hatten den Mohnanbau vor der (US-)Invasion im Jahr 2001 fast ausgemerzt. Nach sechs Jahren Krieg hat sich der Opiumhandel so ausgeweitet, dass Afghanistan für 93 Prozent der weltweiten Heroin-Herstellung verantwortlich ist. 2007 war ein besonders gutes Jahr, weil die Opium-Produktion um 20 Prozent gestiegen ist. Heroin ist jetzt der wichtigste Exportartikel Afghanistans, und das Land ist zur Drogenkolonie der USA verkommen.

Bush kümmert sich wenig um den Drogenhandel. Für ihn zählt nur die Stabilisierung Afghanistans, damit die vielen US-Basen, die entlang der Pipeline-Korridore errichtet werden, den sicheren Transport von Erdöl und Erdgas zu den Märkten in Fernost garantieren können. Nur das zählt wirklich. Die (Bush-)Administration hat Amerikas Zukunft an die riskante Strategie gekoppelt, durch das Fußfassen in Zentralasien den Energiefluss vom Kaspischen Meer nach China und Indien unter ihre Kontrolle zu bringen. Aber die Drahtzieher hinter dieser US-Politik glauben nicht mehr an einen Sieg in Afghanistan.

So gesteht ein Pentagon-Report ein:

„Militante Taliban haben sich nach ihrer zeitweiligen Vertreibung von der Macht neu formiert und in einen breit gefächerten Aufstand integriert.“ Der Report zeichnet ein düsteres Bild des Konflikts und kommt zu dem Ergebnis, „dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan entscheidend verschlechtert hat, während die hilflose Regierung in Kabul unfähig ist, ihren Einfluss auf das ganze Land auszuweiten und wirksame Maßnahmen gegen den Drogenanbau zu ergreifen.“ Die fatale Lage zwingt Bush zu der Entscheidung, entweder Truppen aus dem Irak (nach Afghanistan) zu verlegen oder dem Anwachsen des Widerstands in Afghanistan tatenlos zuzusehen. Mittlerweile nimmt die Gewalt in Afghanistan zu, und die Verluste (der USA und der NATO) steigen an. Pentagon-Häuptlinge meinen jetzt, sie könnten die Taliban nur besiegen, wenn sie ihre Basen in Pakistan bombardieren – ein nicht zu verantwortendes Unterfangen, das Leidenschaften in Pakistan wecken und einen ausgeweiteten regionalen Konflikt auslösen könnte. Schritt für Schritt versinken die Vereinigten Staaten in einem immer tieferen Morast.

Feldmarschall Obama verspricht Rettung

Präsidentschaftskandidat Barack Obama, „der Friedenskandidat“, fordert einen entschiedeneren Einsatz im Afghanistan-Krieg und hat vorgeschlagen, „mindestens zwei zusätzliche Brigaden“ – also 7.000 bis 10.000 Soldaten mehr – nach Afghanistan zu schicken und die Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan mit mehr Spezialkräften zu sichern. Nach einem Bericht im WALL STREET JOURNAL hat er auch vorgeschlagen, „die zivile Hilfe für Afghanistan auf mindestens eine Milliarde Dollar jährlich zu erhöhen“. Obama hat, unterstützt von Brzezinski und anderen außenpolitischen Beratern Clintons, seine Aufmerksamkeit auf den „Krieg gegen den Terror“ gerichtet, diesen jämmerlichen Propaganda-Trick, hinter dem sich Amerikas Absicht verbirgt, der wichtigste Spieler im großen Spiel um die Vorherrschaft auf dem asiatischen Kontinent zu werden. Obama scheint sogar noch begieriger als McCain zu sein, die (Fehler der) Geschichte zu wiederholen.

Im November müssen sich die Wähler zwischen zwei Pro-Kriegs-Kandidaten entscheiden.

McCain hat erklärt, dass er sich vor allem auf den Irak konzentrieren will. Obama wird uns erklären müssen, warum es akzeptabler sein soll, einen Menschen zu töten, der in Afghanistan für sein Land kämpft, als einen, der das gleiche im Irak tut. Wenn er diese Frage nicht beantworten kann, verdient er zu verlieren.
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