10 Juni 2007
Gipfel der Heuchler
Von Sahra Wagenknecht*Am Mittwoch hat der G-8-Gipfel in Heiligendamm begonnen, der in diesem Jahr unter dem schönen Motto »Wachstum und Verantwortung« steht. In Verantwortung für wachsende Profite der Multis und wachsende Armut weltweit hat der erlesene Kreis freilich vom Tag seiner Gründung an gestanden. Wenn daher Bundeskanzlerin Merkel in ihrer Regierungserklärung behauptet, daß es den G81 nicht darum gehe, »spezifische Interessen der führenden Industrieländer gegen den Rest der Welt durchzusetzen«, ist das entweder bodenlose Naivität oder, wahrscheinlicher, unverschämte Heuchelei. Seit über 30 Jahren verfolgen die Gipfeltreffen kein anderes Ziel als das, Wirtschaftsinteressen westlicher Konzerne und Banken gegen den Willen und Widerstand von Millionen Menschen aus Entwicklungsländern durchzusetzen. Daß inzwischen auch große Schwellenländer zu den Treffen eingeladen werden, steht dazu nicht im Widerspruch. Es beweist nur, daß es für die G8 allmählich schwieriger wird, eine Weltwirtschaftsordnung aufrechtzuerhalten, die auf Ausbeutung und Gewalt in ihren rüdesten Formen beruht; die dafür verantwortlich ist, daß jeden Tag Zehntausende Menschen verhungern und über eine Milliarde Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser hat; in der Menschen zu »Kostenfaktoren« degradiert und soziale Rechte eingestampft werden, während sich eine kleine Elite immer schamloser bereichert. Eine Weltwirtschaftsordnung, in der Entwicklungsländer notfalls mit militärischer Gewalt dazu gezwungen werden, ihre Ressourcen an westliche Multis zu verschleudern. Zurückdrängung des SüdensEs gibt Alternativen. Eine solche Alternative wurde bereits vor 33 Jahren von den Vereinten Nationen (UN) anvisiert. So einigte sich die UN-Generalversammlung im Mai 1974 auf eine gemeinsame Deklaration sowie ein konkretes Aktionsprogramm zur Errichtung einer Neuen Weltwirtschaftsordnung, mit der Abhängigkeit, Armut und Unterentwicklung in der sogenannten dritten Welt überwunden werden sollten. Wenige Monate später nahm die Generalversammlung eine »Charta der ökonomischen Rechte und Pflichten von Staaten« an, in der noch einmal bekräftigt wurde, daß jeder Staat das uneingeschränkte und unveräußerliche Recht besitzt, sein Wirtschaftssystem wie auch sein politisches, soziales und kulturelles System in Übereinstimmung mit dem Willen seines Volkes zu wählen und daß jeder Staat frei über den Besitz, die Nutzung und Verfügung seiner natürlichen Ressourcen entscheiden kann, ohne äußeren Einmischungen, Zwängen oder Drohungen irgendeiner Art ausgesetzt zu sein. Die Forderung nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung in den siebziger Jahren war das Resultat veränderter Kräfteverhältnisse. Die Überwindung des Kolonialismus durch nationale Befreiungskämpfe und die Niederlage der USA im Vietnamkrieg hatten das Selbstbewußtsein der Menschen aus dem »Süden« gestärkt. Hinzu kam die erfolgreiche Zusammenarbeit von erdölexportierenden Staaten in der OPEC, die nun einen höheren Anteil der Profite aus dem Ölgeschäft für sich selbst beanspruchten – was viele Entwicklungsländer dazu inspirierte, vergleichbare Absprachen auch für andere Exportprodukte zu treffen. Die Herrschenden der westlichen Industrieländer, die so lange von der Zufuhr billiger Rohstoffe aus dem Süden profitiert hatten, haben das als Kampfansage verstanden.Der erste Weltwirtschaftsgipfel 1975 muß vor dem Hintergrund dieser weltweiten Machtverschiebung begriffen werden. Da die Gruppe der Entwicklungsländer bei den Vereinten Nationen im Zuge der Entkolonialisierung immer größeren Einfluß bekam, versuchten die reichen Länder, die Autorität der UN durch Schaffung eigener Institutionen in Frage zu stellen. Auf die verstärkte Süd-Süd-Zusammenarbeit im Rahmen der Blockfreienbewegung bzw. der G772 reagierte man also mit der Etablierung eines exklusiven Clubs der reichsten und mächtigsten Staaten. Die Schuldenfalle In der Folgezeit gelang es den Industrieländern, alle Bemühungen zur Schaffung einer anderen Weltwirtschaftsordnung ins Leere laufen zu lassen. Eine zentrale Rolle spielte dabei das »Recycling von Petrodollars«, bei dem die Einnahmen der OPEC-Länder aus dem Ölgeschäft über westliche Großbanken an die Eliten aus Entwicklungsländern weitergereicht wurden. Indem man der »dritten Welt« umfangreiche und zinsgünstige Kredite aufdrängte, konnte man die von den Entwicklungsländern erhobene Forderung nach verstärkten Finanzhilfen erfüllen, ohne an der Abhängigkeit des Südens etwas zu ändern. Im Gegenteil: Mit den Krediten wurde die Abhängigkeit der Entwicklungsländer wesentlich verschärft und die Grundlage für künftige Plünderungen und Ressourcentransfers vom Süden in den Norden gelegt. Gleichzeitig trugen die Kredite dazu bei, die »dritte Welt« zu spalten und von gemeinsamen Forderungen oder gar Handlungen abzubringen. Schließlich war die Kreditvergabe ein gutes Mittel, die Eliten der Entwicklungsländer zu korrumpieren, die in der Folgezeit umso höriger die Wünsche der westlichen Multis erfüllten. Als die USA Ende der siebziger Jahre die Zinsen radikal erhöhten, schnappte die Schuldenfalle zu: Die Zinszahlungen der Entwicklungsländer verdreifachten sich innerhalb kurzer Zeit, so daß an eine weitere Bedienung der Kredite nicht mehr zu denken war. Die Zahlungsunfähigkeit Mexikos im Jahr 1982 markiert den Beginn der internationalen Schuldenkrise, in deren Verlauf über 60 weitere Staaten – überwiegend aus Lateinamerika und Afrika – ihren Bankrott erklären mußten.Statt in Reaktion darauf eine internationale Konferenz einzuberufen und gemeinsam über Auswege aus der internationalen Verschuldungskrise zu beraten, trat der Internationale Währungsfonds (IWF) auf den Plan. Dieser vertrat die Interessen der westlichen Gläubigerbanken und sollte sich in der Folgezeit zur mächtigsten Institution der G7 entwickeln. Es begann das Zeitalter der neoliberalen »Strukturanpassung«, das die Wirtschaften Afrikas und Lateinamerikas nachhaltig zerrütten und die Armut drastisch verschärfen sollte.Das Problem der Überschuldung der Entwicklungsländer ist bis heute nicht gelöst. Nach Statistiken des IWF hat sich die Gesamtverschuldung von etwa 600 Milliarden US-Dollar im Jahr 1980 auf etwa 3,2 Billionen im Jahr 2006 mehr als verfünffacht. Lesen sie weiter http://www.geistig-frei.com/forum/index.php/topic,14672.0.html
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