26 April 2006

Heiden in heutiger Zeit


© 1999 Harry Radegeis

Ein Gespenst, welches noch vor wenigen Jahren völlig unbekannt war, geht in aller Welt um. Überall taucht es gleichzeitig auf: in Peru, in Mauretanien, in Indien, in den USA und zuletzt auch in Europa: das Heidentum.
Was ist das überhaupt, was sind das für Leute, die überholtem Aberglauben anzuhängen scheinen, von denen man nichts weiß, außer, dass sie jahrhundertelang in aller Welt von den Kirchen blutig verfolgt wurden?
Was wollen diese Leute? Wozu gibt es sie überhaupt? Sind sie nicht Anachronismus in einer modernen, zivilisierten Welt? Sind sie nicht vielleicht gefährlich? Gibt es heute wirklich keine anderen Probleme, als sich mit Hexenritualen und antiken Gottheiten zu befassen? Mit mittelalterlicher Mystik, mit Zaubersprüchen?
Das Auffällige ist, bei näherem Hinsehen, dass es bei aller Verschiedenheit der Auffassung zwei Gemeinsamkeiten gibt:
Erstens, alle diese Überlieferungen sind uralt und beschreiben Zeiten bis vor der Entstehung der ersten Menschen.
Zweitens, bei allen unterschiedlichen Schattierungen sind die Grund­züge der Lehren bei allen Völkern weltweit gleich, ungeachtet unterschiedlicher Entwicklungsstufen.
Aber was sind denn nun Heiden? Die Kirchen bezeichnen alle Nichtchristen, also auch Moslems, Buddhisten, Hindus usw. als „Heiden“, also nicht nur Naturreligionen, sondern auch Buchreligionen.
Die Buchreligionen nehmen für sich in Anspruch, die niedergeschriebene Offenbarung göttlichen Willens durch von ihm auserwählte Propheten zu sein und damit unfehlbare Wahrheit, Wort für Wort. Diese Anmaßung teilen sich vor allem drei Bücher: das Alte Testament, das Neue Testament und der Koran. Nach der Auslegung des Korans sind Christen „Ungläubige“, nach der Auslegung der Bibel die Muslime „Heiden“. Aber der Begriff „Heide“ wird auch auf Gottlose, also Atheisten, angewandt. Oder auch auf Satanisten, die auf biblischer Grundlage den Gegenpol zu den Kirchen zu bilden vermeinen.
Wir sollten dieses Gewirr aufräumen. Denn aus heidnischer Sicht sind Muslime ebenso wenig „Heiden“ wie die Christen, während, aus muslimischer Sicht, sowohl Christen als auch Heiden „Ungläubige“ sind.
So will ich das allgemeine Weltbild der heidnischen Völker erklären und besonders auf unsere eigenen, alteuropäischen Überlieferungen zurückgreifen.
Immer wieder wurde ich von Men­schen angesprochen, ob es ein Buch gibt, welches dem interessierten Anfänger dieses ihnen fremde Weltbild anschaulich erläutern kann. Es gibt jedoch meines Wissens keines, das einigermaßen umfassend ist, neutral, und noch dazu dem Anfänger verständlich.
Der Begriff „Heide“ aus heidnischer Sicht
Eigentlich bezeichnen die Wissenschaftler die Heiden mit dem griechischen Wort „Pantheisten“, also Vielgötteranbeter. Das ist richtig, spricht sich aber schlecht aus. Die Heiden selbst haben sich keine Definition gegeben. Religion war Rückverbindung, verlangte kein besonderes Bekenntnis, sondern war ganz einfach da, selbstverständlicher Teil des Lebensablaufes, und erklärte, woher man selbst und die Mitwelt kamen.
Ebenso wie die meisten Stammesnamen in aller Welt in ihrer jeweiligen Sprache einfach nur „Mensch“ bedeuten, so verlangte die Gottheit auch keine besondere Definition, sondern hatte nur in den jeweiligen Sprachen für ähnliche „Funktionen“ verschiedene Namen. Vielen wird die Wesensgleichheit zwischen dem römischen Jupiter, dem griechischen Zeus und dem germanischen Donar schon aufgefallen sein. Der Thor der Wikinger heißt beispielsweise bei den Polynesiern Taroa usw.
Der germanische Sonnengott Baldur oder Phol hieß bei den Griechen Apollo, bei den Mesopotamiern Baal, ist sprachverwandt mit unserem Sonnenball. Diese Liste lässt sich fortsetzen. Alles Zufälle? Gibt es überhaupt Zufälle, oder sind es noch nicht erkannte Gesetzmäßigkeiten? Dem ausgebildeten Esoteriker ringen solche einfachen Suggestivfragen nur ein müdes Lächeln ab, aber schließlich schreibe ich dies nicht für ihn.
Für den Erfahrenen gibt es heute mehr Literatur, als dieser lesen kann. Wir halten also fest: Für jeweils erkannte Naturgesetze wurde bei allen Naturvölkern eine bestimmte Gottheit als zuständig erkannt. Sie wurde als Ursprung und Verwalterin des Gesetzes gleichermaßen angesehen. Diese Gottheiten standen untereinander in bestimmten harmonischen oder disharmonischen Verhältnissen. So wie Feuer und Wasser, je nach ihrem Mengenverhältnis zueinander, Verschiedenes bewirken können, oder, je nach dem Zuviel oder Zuwenig, allein nützlich oder schädlich sein können. Ein kleines Feuer wärmt das Leben, ein großes verbrennt es. Wasser löscht das Feuer oder kann, richtig eingesetzt, den nützlichen Dampf erzeugen. In diesem Sinne sind alle Naturgesetze von ihrem Prinzip und ihrer Handhabe her zu sehen.
Der Heide kennt diese Gesetze und lebt danach. Er hat als Kriterium für sich und seine Mitwelt seine praktisch nachvollziehbaren Erfahrungen und braucht nichts zu glauben, was er nicht selbst nachprüfen kann. Er hat die Erfahrung gemacht, dass die Natur sehr vielfältig und verschieden ist und er von ihr lernen muss, mit diesen Verschiedenheiten fertig zu werden. Lernt er es nicht, sinken seine Überlebenschancen rapide. Aus diesem Grunde sind keine Definitionen möglich oder nötig, denn diese Erfahrungen sind für jeden offensichtlich. Er braucht also wirklich keinen Katechismus oder sonstige Bücher über die Mitteilungen einer Gottheit an einen Propheten. Er sammelt seine Erfahrungen über viele Generationen und teilt sie seinen Kindern immer wieder mündlich mit. Die Schrift war zumindest den europäischen Heiden bekannt. Sie wurde aber nur sparsam angewendet, um zwei Nachteile zu vermeiden:
Erstens, die mündliche Überlieferung schult das Gedächtnis besser. Man denke nur an die Märchen, die die Kinder sehr aufmerksam Wort für Wort behalten. Zumindest war das vor Einführung der Computer so.
Und zweitens, um der Erstarrung des Niedergeschriebenen zu einem Dogma vorzubeugen, wie es bei den Buchreligionen hinterher passiert ist. Alles, was niedergeschrieben wird, kann nur den Erkenntnisstand des Schreibers und den seiner Zeit widerspiegeln. Mehr nicht. Wird dieses Niedergeschriebene aber zur einzigen Wahrheit erhoben und genügt Jahrhunderte später den Anforderungen nicht mehr, weil die Welt naturgesetzmäßig weiterentwickelt worden ist, kommt die Stunde der Tüftler. Diese müssen an dem unberührbaren Dogma so lange herumdeuten, bis das herauskommt, was ihnen gerade wünschenswert erscheint. Auf diese Weise haben es die Christen und die Muslime immerhin erreicht, ein paar hundert Sekten zu bilden, die sich im Namen der Liebe zu Gott so spinnefeind sind, dass sie die jeweils anderen Sekten als „Teufelskram“ und „Ketzerei“ bezeichnen.
Um auch hier sprachlichen Verwechslungen vorzubeugen: Der „Ket­zer“ ist ein Christ, der von anderen Christen als „abtrünnig vom ursprünglichen Glauben geworden“ bezeichnet wird.
Der „Heide“ ist ein Nichtchrist, der von den Christen so verfolgt wurde, dass er seinen Gottesdienst nur heimlich auf der Heide verrichten konnte, also in unzugänglichen Gebieten, wo er vor der Verfolgung einigermaßen sicher war.
Die Anhänger des „lieben Gottes“, Jehovas oder Allahs bilden sich sehr viel darauf ein, den Schritt von der „Vielgötterei“ zum „Monotheismus“ erreicht zu haben. Allein dieses primitive deutsche Wort und daneben der erhabene (griechische) „Monotheismus“!
Heiden wissen sehr wohl, dass al­les aus einem Ursprung kommt. Die atlantischen alten Religionen sahen „Allvater und Urmutter“ als die beiden Triebkräfte des Alls an und sahen unter diesen die für Einzelbereiche zuständigen Gottheiten, die die Aufgabe hatten, in Übereinstimmung mit den anderen die Schöpfung weiter zu entwickeln. Genau, wie auf der menschlichen Ebene ein Erfindergenie seine Ingenieure anweist, diese ihre Helfer (Geister) haben und die Ausführung in die Hände der Arbeiter (Menschen) legen.
Der Ursprung aller Dinge ist also die spannungsgeladene Polarität zwischen dem männlich-geistigen und dem weiblich-materiellen Prinzip. Diese Einteilung ist nicht willkürlich, sondern spiegelt die Erkenntnis wieder, dass die Frau die Trägerin des Lebens ist, die Mutter-mater-mater-ia. Während das männliche Wesen eher im Erfinden, d. h. Verändern, liegt, so das weibliche im Bewahren. Da im Heidentum beide Begriffe gleichwertig sind, kann es keinen Streit geben, was besser oder wichtiger sei. Das eine kann ohne das andere nicht sein. Ohne Positiv und Negativ gibt es keinen Strom, ohne Erkenntnis des Richtigen keine Erkenntnis des Falschen usw.
Nun ist aber das Morgenland, woher alle Buchreligionen bezeichnenderweise kommen, ein bisschen von Natur her benachteiligt. Man weiß von einem Paradies zu berichten, aus dem man durch einen Sündenfall hinauskatapultiert worden ist. Und zwar in eine feindliche, wüstenartige Gegend, wo wenig wächst und man für sein Auskommen hart arbeiten muss. Womit hatte man das nur verdient?
Alle Völker glaubten damals an die Wiedergeburt allen Lebens. Was? In solcher Wüstenei noch einmal wiedergeboren werden!? Das mochte aushalten, wer wollte. Die Morgenländer taten es nicht und schafften die Wiedergeburt einfach ab. Das ging nicht so schnell, weil die Menschen lange Zeit darauf bestanden, sich naturgemäß weiterentwickeln zu dürfen, sich von Zeit zu Zeit mit einem neuen Körper zu versehen, wenn der alte verbraucht war, wie ein welkes Blatt, dessen Zeit gekommen war, während aus der gleichen Pflanze im Frühjahr wieder ein neues Blatt kommt.
Im Jahre 525 (herkömmlicher Zeitrechnung) hatte man es aber geschafft. Es fand sich im Konzil zu Byzanz endlich eine hauchdünne Mehrheit, die keine Lust hatte, in diesem Jammertal noch einmal leben zu müssen, und man schaffte auch in der Kirche die Wiedergeburt ab. Das war geschafft!
Aber die Frauen! Die gebaren doch immer wieder das Leben und zogen es auf! Das durfte nicht länger so sein! Und daher ging man schon sehr früh daran, die Frau zu „verteufeln“. Und schaffte konsequenterweise auch die Urmutter gleich mit ab. Damit war aber auch das Wissen um die Polarität des Ursprungs weg. Und konsequenterweise brauchte man dann die anderen Götter auch nicht mehr. Weg damit! Wozu etwas weiterentwickeln, was sowieso „schlecht“ war? Bloß nicht in der Wüste wiedergeboren werden! Über ein besseres Leben nach dem Tode, als Entschädigung für die lebenslange Schinderei! Und so blieb von dem ganzen Götterpantheon, das den Olymp mit homerischem Gelächter ehrte, nur ein ewig grantelnder, unzufriedener, partnerloser und eifersüchtiger, neidischer Jehova übrig, der sich für diese Nachteile an seinem auserwählten Volke rächte, weil dieses ihn seiner Gesellschaft der anderen Stammesgötter beraubt hatte. Genau passte er auf den kleinsten Fehler seiner Untertanen auf, stellte ihnen bei jeder Gelegenheit ein Bein, bedrohte sie -zigmal mit dem kollektiven Tode, wenn sie ihm nicht wenigstens zur Entschädigung alles Gold der Welt brächten. Gold war sehr wertvoll, es spiegelte die Farbe der Sonne wider, die doch alles Leben ernährte, hier im Orient jedoch nur heiß und versengend auftrat! Die musste er haben! Dann wäre er der Mächtigste! Wozu hat man seine Sklaven? „Gehet und macht euch die Erde untertan!“ Und sie gingen und gehen heute noch.
Kopfschütteln? Ein Märchen? Dieses Märchen steht in der Bibel, der heiligsten Schrift der Christenheit. Wenn die Christen sie nur lesen würden! Sie würden automatisch wieder zu Heiden! Für dieses Märchen ist jahrhundertelang Krieg geführt, geraubt, geplündert, gefoltert, verbrannt, verketzert worden. Die ganze Kraft der europäischen Mensch­heit wurde auf dieses Ideal des vollkommenen Todes gelenkt. Päpste, Kaiser, Fürsten und Präsidenten dienten ihm und dienen ihm noch heute!
Dafür wird gelogen, betrogen, geschändet und vergewaltigt, was man bekommen kann. Atomkraft schädlich? Nach mir die Sintflut! Atomkrieg? Ist eben die Apokalypse! Waldsterben, Flusssterben, Meeressterben, vergiftete Erde, vergiftete Nahrung, vergiftete Beziehungen, Massenkriminalität? Es sind die sieben Plagen Ägyptens. Es muss so sein! Tschernobyl? Das sind die Prophezeiungen des Johannes! Alles Gottes Wille. Da kann man nichts machen! Es steht doch schon in der Bibel: „Und ihre Altäre sollt ihr stürzen, ihre Haine verbrennen, ihre Tempel zerstören, die Heiden mit Mann, Weib, Kind und Vieh zur Freude Gottes zu erschlagen! Oder sie auf zackige Sägen legen und in Ziegelöfen verbrennen!“
Es gibt kein gemeingefährlicheres Buch zur Anleitung zur Gewalt, zur Verherrlichung von Gewalt und Verbrechen, keine gewaltigere Aufforderung zum Völkermord als dieses heiligste Buch der Christenheit!
Und dann wundern sich diese Leute noch, dass es mit der Liebe Gottes so schlecht bestellt ist! Oh, die Pfaffen wussten schon sehr gut, warum sie im Mittelalter ihre Predigten in Latein hielten, was niemand außer ihnen verstehen konnte, und warum auf den Besitz der Bibel die Todesstrafe stand! Weshalb die edelsten Geister ins Kloster gesperrt wurden und durch das Zölibat in zweiter Generation die Intelligenz vernichtet war! Weshalb die Adligen zum Kreuzzug in die Wüste geschickt wurden. Kamen sie wieder, brachten sie der Kirche die Siegesbeute dar. Kamen sie um, was erwünscht war (siehe 2. Kreuzzug, der „Ketzerkreuzzug“), fielen ihre Ländereien an die Kirche! Man wusste schon, warum man Armut predigte!
Und standen endlich die Frauen auf, um das Schlimmste zu verhindern, so war das ein Beweis ihrer Teufelsbuhlschaft. Und so verbrannte man zwanzig Millionen von ihnen; diejenigen, die von Religionskriegen, die um die Auslegung einzelner Bibelstellen geführt wurden, übrig geblieben waren; die Frauen, die die harte Fronarbeit, die Pest, die auf die von der Kirche befohlene Unreinlichkeit zurückgeht, überlebt hatten; diejenigen, die noch heilen konnten, was die Kirche zerstört hatte; diejenigen, die nicht ins Kloster gesteckt und zur Unfruchtbarkeit verdammt waren, sofern sie nicht, wie in vielen Klöstern üblich gewesen, als Bordellmädchen für die Pfaffen und Kardinäle gebraucht wurden!
Als es in Europa und im Morgenland nichts mehr zusammenzurauben gab, weil ganze Landstriche ausgemordet waren - die Bauernkriege, die Stedinger, die Katharerfeldzüge, die Ostkolonisation, die Livlandkreuzzüge, die Wendenkriege sind nur ein paar Beispiele dafür - und die Überlebenden zu arm waren, um weiter beraubt werden zu können, ging man nach Übersee. Zwanzig Millionen Indianer wurden umgebracht. In Mittelamerika, wie der Chronist berichtet (ein Mönch):
„Wir schnitten den Heiden Hände und Nasen ab und jagten sie davon, wo sie alle zur Freude Gottes starben“.
Eine Attraktion war bei der preußischen Hanse die gemeinsame Jagd auf das heidnische Volk in der Umgebung, mit englischen Geschäftsfreunden. Wer die größte Strecke erlegt hatte, war der Sieger.
Die Methoden waren zahlreich und bezeugten die Fantasie der damaligen Regenten und Kirchenfürsten, die ganze Kreativität eines Zeitalters, das nur das Töten wollte. Den Indianern brachte man mit Pest verseuchte Decken als Geschenke. Die Bevölkerung Jerusalems wurde in der Kirche zusammengetrieben und einschließlich der Säuglinge getötet, „dass die Ritter bis zu den Knien im Blut wateten“.
Man könnte noch viel darüber schreiben. Aber das ist nicht meine Aufgabe. Das haben Autoren wie Deschner und Kammeier kompetenter getan. Es ging hierbei nur darum, das Prinzip der Buchreligionen zu zeigen (der Islam hat sich in der Geschichte um kein Stück besser benommen und basiert, nach eigener Aussage, auf der Bibel), aufzuzeigen, warum die Suche nach Wahr­heit hier in eine Sackgasse gerät, warum diese beschriebenen Grausamkeiten nicht Auswüchse einer an sich guten Religion waren, wie oft von Christen behauptet wurde, sondern die tödliche Konsequenz einer Denkweise, die zwangsläufig erfolgen musste. Und dass wir damit nichts, absolut nichts für die Lösung dringend nötiger Probleme anfangen können.
Dann werden uns ständig die zehn Gebote vorgehalten, die Bergpredigt, der Heiland usw.! Ja glauben denn diese Verteidiger ernsthaft, vor Christus hätten sich die Leute gewohnheitsmäßig nur gegenseitig betrogen, getötet usw.?
Musste erst ein Erlöser kommen, um derartig banale Selbstverständlichkeiten zu predigen? Ist es nicht vielmehr so, dass man auf solche Dinge erst dann hinweisen muss, wenn es bereits stark im Argen liegt? Jesus tauchte jedoch im Morgenland auf, nicht im Abendland. Er geht uns daher nur wenig an, etwa so viel wie die Kenntnis der chinesischen Politik des 1. Jahrhunderts.
Das ist das Gleiche wie mit der „ersten großen Kulturleistung der Geschichte“, wie es in Gymnasialschulbüchern immer wieder genannt wird, wenn man von Hammurabis erstem, schriftlich festgehaltenen, Gesetzeswerk spricht. Dass es nötig war, mündlich überlieferte Gesetze, die selbst der primitivste Stamm kennt, schriftlich festzuhalten, weil man sich durch Kulturmischung in der Auslegung und Anwendung des alten Rechts nicht mehr auskannte, darauf scheint niemand zu kommen. Ein geschriebenes Gesetzeswerk ist somit immer ein Anzeichen eines Kulturverfalls und nicht einer Kulturbegründung! Was sollten beispielsweise die Dakota-Indianer mit geschriebenen Gesetzen? Die mündlichen funktionierten so gut, dass es gar nicht nötig war, das aufzuschreiben, um hinterher ein Heer von Auslegern und Winkeladvokaten zu beschäftigen!
So wird von den Heiden jeder morgenländische Anspruch auf das Abendland und die anderen Kontinente für jetzt und die Zukunft zurückgewiesen. Das kann für uns niemals etwas Gutes sein, weil es nicht hierher gehört!
Und hier haben wir einen ganz wesentlichen Schlüssel zum heidnischen Denken: Selbstverständlich können die Christen und Moslems glauben, was ihnen beliebt, solange sie uns nicht mit ihren „Erkenntnissen“ belästigen! Die Natur bringt jedes Mineral, jede Pflanze, jedes Tier und jeden Menschen in der Gegend hervor, wo alles aufeinander abgestimmt zusammenpasst. Dieser biologische Haushalt funktioniert so wunderbar, dass man daran nichts mehr verbessern kann und es daher auch nicht versuchen sollte, noch dazu mit völlig unzureichenden Kenntnissen über die möglichen Folgen! Daraus lernen wir, dass, wie jedes Tier sein Revier hat, in dem die Pflanzen wachsen oder es das Jagdwild gibt, das es zum Leben braucht, auch jeder Mensch eine Heimat hat. Und diese Heimat seiner Art und seinen Wünschen gemäß nach seinen Fähigkeiten gestaltet. Dabei wollen die Heiden ihn nicht stören, denn er ist ja ebenfalls ein „Heide“, nur anders geartet. So wenig Heiden eine Missionierung wünschen, so wenig möchten sie andere damit belästigen. Ein Bekehrungsversuch würde ihre eigenen, wichtigsten Prinzipien in Frage stellen. Denn dann würden sie ihr „Opfer“ anders haben, als es ist und damit die von ihnen so gepriesene Weisheit der Natur in Frage stellen. Außerdem wäre es geradezu lächerlich und unerwünscht, wenn ein heidnischer Norweger mit einem heidnischen Berber auf Odin anstoßen würde. Vielleicht den Berber noch in ein Wikingergewand gekleidet und den Norweger in Beduinenkleidung gesteckt! Die Lächerlichkeit wäre vollkommen. Genau das wäre aber dieses „Füllen der Erde“, um sie sich untertan zu machen! Wir sehen also, für den Buchreligiösen ist die Intoleranz zwangsläufig vorgegeben, während ein Heide nicht intolerant sein kann, ohne sich selbst in Frage zu stellen.
Dieser Ausflug in Entstehung und Geschichte der Religionen sollte die polare Problematik der beiden Prinzipien erkennbar machen, um dem Leser die Aufnahmebereitschaft zu vermitteln, die er benötigt, um das Heidentum als eine Zukunftslösung zu erkennen.
 

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